Präriepost
19. April 2015
Die Regenzeit hat begonnen, hier in der Prärie. Seit einigen Tagen wechseln sich Regen, Wind, und Wolken ab um dem fruchtbaren Boden eine gute Grundbewässerung zu geben. Nach langer Trockenzeit sollte man meinen, dass sich die Dorfbewohner über einen guten Frühjahrsregen freuen. In unserer Gegend entspricht es aber nicht unserem Gemüt, sich zufrieden zu zeigen, denn Zufriedenheit muss sich ein guter Lutheraner erst nach langer Zeit und Ausdauer verdienen. So klagen sie über die durch den Regen zerstörten Blüten der Magnolienbäume und die ihre Köpfe hängenden Osterglocken. Auch beschweren sie sich, dass die Zeit des ständigen Rasenmähens zu schnell wieder eingetroffen ist. Die Farmer klagen, dass sie davon abgehalten werden, ihre Maissaat in den Boden zu bringen. Man ist ungeduldig in der Prärie.
Die Studenten der Dorfuniversität bereiten sich auf das Ende des Semesters vor. Referate müssen geschrieben und gehalten werden und die letzten Klausuren stehen ins Haus. Ihre Professoren und Professorinnen schließen sich dann in ihren Büros ein um die Korrekturen vorzunehmen und lauthals über das sinkende Niveau ihrer Prüflinge zu schimpfen. Kurz vor dem Endspurt halten die Universitätsclubs noch ihre Veranstaltungen ab, mit denen sie die Clubkasse aufzubessern versuchen. Am Wochenende gab es so auch das alljährliche internationale Essfestival in der Prärie, die Studenten griffen zum Kochlöffel und zauberten ihre heimischen Gerichte: Maki Sushi, natürlich aus Japan, Bulgogi aus Korea und Tandori Chicken und Chicken Kahari aus Indien und Pakistsan. Dazu Eiertörtchen aus Malaysien und Lime Cake aus Afrika. Seit dem letzten Jahr findet kein großangelegtes Studentenfest mehr statt, in den Vorjahren hat es zu viele Störungen gegeben.
Die Sportsaison ist im Großen und Ganzen auch abgeschlossen. Die Universitäts-basketballmannschaft, viel gelobt, hat wieder den Titel der Big-12 Liga gewonnen, blieb im Nationalpokal aber weit hinter den Erwartungen zurück. „Auch gut so,“ sagen die Professoren, „um so schneller sind die Studenten wieder im Hörsaal“. Die Vorschusslorbeeren für die nächste Saison sind hoch, denn die kleine Dorfmannschaft aus der Prärie wird nun auf dem vierten Platz im ganzen Land gehandelt. „Nur nicht zu Kopf steigen lassen“, sagen sie dann, „diese Platzierung werden wir nächstes Jahr bitter bezahlen, dann nämlich, wenn die Enttäuschung wieder einsetzt“. Man ist ungeduldig in der Prärie.
Der Coach, Sohn eines emeritierten Professors an der Universität, hat sich zum zweiten Mal einer Herzoperation unterzogen. Da kommt ihm die Ruhe im mittleren Westen nun zugute. Keine Hektik hier, nur keine Hektik.
Aus den Nachbarorten hört man, wie sich die jungen Leute auf den nächsten Marathonlauf vorbereitet hatten, der dann aber buchstäblich ins Wasser gefallen ist. Beim letzten Marathonlauf in der Prärie kämpfte unser eigener Dorfbewohner lange mit sich selber. „Ich war beim Marathon schnell am Ende des Feldes“, erzählte er in der Präriestube nach seiner Wiederkehr. „Der Zweitletzte machte sich lustig über mich. `Hey mein Freund, wie fühlt es sich an, Letzter zu sein ?` Ich fragte kurz: `Willst du es wissen? und schied aus……´“ Selbst beim Marathonlauf ist man ungeduldig in der Prärie.
Andere junge Leute in der Prärie freuen sich auf ganz nahstehende Ereignisse. Eine neue Präriebewohnerin wird erwartet und das ganze Dorf kam zusammen um die Vorfreude auf das Ereignis zu teilen. Sie kamen zu Nussstorte und zu Käseküchlein und zu Zitronenkuchen. Die Jüngste unter ihnen sagte immer nur „Bauch“. Die Dorfbewohner hatten die feierliche Stube mit Riesenpapierblumen und mit einer Vielzahl von Ballons geschmückt. Die jungen Leute hatten sich Spiele ausgedacht, jeder musste den Geschmack von Babynahrung erraten. Dann wurden Geschichten erzählt und jeder durfte sich einen Geburtstag aussuchen, und schon einmal eine Geburtstagskarte schreiben. Nach der Feier zogen sie sich dann alle in ihr Heimatdomizil zurück. Der angehende Vater baut weiter am Gitterbett aus gutem Mahoganyholz, und die angehende Mutter dekoriert die gute Stube. Niemand wird es zugeben, aber man ist ungeduldig in der Prärie.
Im anderen Nachbardorf hat man auch große Pläne – eine Dorfhochzeit steht vor der Tür. Sie soll natürlich gründlich vorbereitet sein, es wird daher noch ein gutes Jahre dauern, bis es soweit ist. Solange diskutiert man noch über Kirche oder Park, über Hochzeitskleid und Hochzeitstanz. Bei guten Lutheranern müssen wichtige Ereignisse immer lange vorgeplant und nicht zu einfach gestaltet werden, denn nur eine lange Planung lässt uns ungeduldig werden.
Pastor John wird auch langsam ungeduldig, ein Nachfolger für Pastor Randy ist noch nicht gefunden, und so kann er seine zwischenzeitliche Mission hier in unserem Dorf noch nicht aufgeben. Bei seiner Predigt am Sonntag gestand er, dass er seinen Predigttext „verlegt“ hatte und nicht mehr finden konnte. So entschloss er sich kurzerhand, ohne Predigttext aus dem Bauch heraus zu reden. Seine Botschaft war dann auch so kurz wie noch nie, man solle Verantwortung nehmen für sich selbst und für seine Mitmenschen. Als guter Lutheraner müsse man die Freiheit mit verantwortlichem Handeln verbinden. Freiheit heiße nicht, dass man alles tun und lasse könne, sondern Freiheit heiße, sich selbst aus freiem Willen der Gemeinschaft aufzuopfern. Die Kirchgänger wussten nicht genau, was er eigntlich damit meinte oder wen er damit kritisierte, sie waren aber froh, dass Pastor John nicht einmal ein persönliches Grüßen am Ausgang geben konnte, da er auch noch eine Erkältung abzuwehren versuchte.
Ein Dorfbewohner hat die gesamt Nachbarschaft aufgerüttelt, hat er es tatsächlich gewagt, sein Grundstück mit einem großen Zaun abzugrenzen. Hier in der Prärie gibt es keine Grenzen, das Land gehört allen, die sich hier heimisch fühlen. „Er ist ja nicht von hier,“ erzählen sie sich, „sonst hätte er es sich nie erlaubt“. Schon einmal hat er versucht, einige Fichten am Rande seines Grundstückes anzupflanzen, dem Aufstand der Nachbarn konnte er sich aber nicht widersetzen, und so pflanzte er die Fichten an anderer Stelle um.
So bereitet sich hier alles auf den Sommer vor, die Tomaten sind eingesät, und der erste Rhabarberkompott aufgetischt. Das Grillfeuer hat schon das erste Fleisch geröstet und die kanadischen Gänse fliegen hoch über die Prärie um möglichst schnell in ihr Zuhause im hohen Norden zurückzufinden. Es herrscht eine unerklärliche Ungeduld in jeder Frühjahrszeit, hier in der Prärie, wo es mittlerweile zu viel regnet, wo die Studenten in den Semesterendspurt gehen und wo man sich auf die kommenden Dorfereignisse freut.