Präriepost

19. Januar, 2025

Heut ist ein guter Tag. Keine Wolke am Himmel, die Temperaturen sind bei gefühlten Minus 30 Grad; niemand kommt hier auf den Gedanken, einen gemütlichen Spaziergang abzuhalten. Es weht ein rauer Wind, aber der zieht schnell in Richtung Osten. Am Abend lassen sich sechs Planeten gleichzeitig sehen. Venus und Saturn im Südwesten; direkt daneben Neptun und gegenüber Mars im Osten und Jupiter und Uranus im Südosten des Horizonts. Die Planeten sind aufgereiht, als wenn sie etwas heller und direkter auf unseren Erdball schauen wollten.

Die Studierenden finden ihren Weg zurück in ihre Studentenbuden, obwohl noch nicht durchsichtig ist, ob unsere internationalen Stars alle aus ihren Ländern zurückkehren dürfen. Man hat vorgewarnt, dass sie zu Beginn des Semesters vor Ort sein müssen. Manche Studierenden igeln sich schnell in ihren Wohnheimen ein und haben begonnen, sich in ein neues Semester einzulesen. Die Kälte lässt sie ihre Heizungen aufdrehen, ihre Decken über die Schultern werfen, und sie werden einen heißen Kakao trinken. Heut is ein guter Tag.

Die Bewohner im Dorf kümmern sich nicht um die Kälte, sie gehen zur Dorfschänke, sich mit anderen zu treffen, um die letzten Neuigkeiten aus der Hauptstadt zu erfahren: „Hast du schon gehört“, fragen sie dann, „der Antrag, nicht Haifische anfassen zu dürfen, wurde im Repräsentantenhaus abgelehnt“. Haifische sind nicht gerade Stammbewohner in der Prärie. Und doch hielt es ein Abgeordneter für notwendig, die wenig beliebten Meerestiere zu schützen. „Ein zweiter Antrag“, erzählen sie weiter, „ ein zweiter Antrag, einige Gebiete vom anderen Staat im Norden abzukaufen, wird noch von den Abgeordneten diskutiert“. Heut ist ein guter Tag, denn ernsthafte Änderungen wird es wohl in der Prärie so schnell nicht geben.

„Hast du schon gehört“, fragen sie auch, „heute ist Popcorn Tag”. Sie werden es feiern, denn im Nachbarort meinen sie, sie seien in der Popcorn Hauptstadt der Welt. Das Kino in der Prärie lädt auf jeden Fall schon einmal durch seinen Popcorn Geruch ein, und sie werden sich wohl Captain America anschauen, um sich die Zeit zu vertreiben.

Heut ist ein guter Tag, denn Eltern fahren mit ihren Kindern zu Schwimmwettbewerben, und die Jüngsten können ihre unverbrauchten Kräfte in Überwasserenergie umsetzen. Omas und Opas in der Prärie verfolgen die Anstrengungen der nächsten Generation mittlerweile weit weg vom Monitor. Als wären sie in der Schwimmhalle, springen sie dann auf und jubeln, wenn die Enkelin mit letzter Kraft am Schwimmbeckenrand anschlägt.

Die Musiker hier, in der Prärie, treffen sich zum ersten Mal in diesem Jahr. Sie werden sich einspielen, um mit seiner 4. Symphonie an Robert Schumann zu erinnern. Oder war es vielleicht erst seine 2. Symphonie? Jedenfalls weiß man, dass er sie zum Geburtstag seiner Frau Clara Schumann komponiert hat. Alles Gute zum zweihundert fünften Geburtstag!

Die Universitätsmannschaften sorgen für überraschend große Euphorie. Die eine Mannschaft hat fast alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt, die andere Mannschaft zählt mittlerweile auch zu den Besten im Land. Hier, in der Prärie, trifft man eher auf Skepsis, denn Erfolg erträgt man nur mit Vorsicht. Sie erinnern sich: „Hochmut kommt vor dem Fall“, sagen sie dann, mit klarem Verweis auf das „gute Buch“. Und trotzdem, wenn es im Sport eine Gewinnphase gibt, dann ist es ein guter Tag, hier, in der Prärie, wo die Menschen sich vor der Kälte verstecken, wo man an das Gute glaubt, auch wenn das Böse vor der Tür steht, und wo das neue Jahr noch keine großen Änderungen bewirkt hat – heut ist ein guter Tag.