Präriepost
Heute aus Kalifornien
August 1, 2017
Es ist kühl hier, an der Küste Kaliforniens, der Nebel legt sich geruhsam und mit Bestimmtheit über die Landschaft. Erst am späten Morgen oder vielleicht erst am Nachmittag schiebt sich die Sonne mühsam hervor, und der Himmel schimmert in hellblauen Farben durch die Nebelschwaden. Das milde Klima passt zum freundlichen Temperament der Kalifornier. Sie akzeptieren die frische Kühle am Morgen und zeigen ihr sonniges Gemüt am Nachmittag. „Wir brauchen den Nebel“, sagen sie mit verschmitzdem Lächeln, „damit wir uns vor der verrückten Welt verstecken können, um dann unerwartet ins Rampenlicht zu springen.“ Hallo, Kalifornien!
Die mächtigen Redwoodbäume in Santa Cruz brauchen auch den Nebel, denn regnen wird es hier nur selten. Die Mammutsbäume geben Schutz und Unterschlupf auch für die Langlebgkeitsforscher, die sich hier eingefunden haben und die Bäume bescheiden anschauen, denn diese Naturwunder können bis zu 2000 Jahre alt werden. Langlebigkeitsperspektiven in diesem progressiven Staat der USA! In dieser majestetischen Gegend sprechen die Forscher über Gesundheit und Multimorbidität, über Gedächtnis und Demenz, über Zufriedenheit und Depression, und über Familie und Unterstützung.
In San Francisco treffen sich dann sechstausend weitere Forscher aus aller Welt, um die neuesten Erkenntnisse der Alternsforschung auszutauschen. Und sie sprechen über alle Facetten des Lebens der alternden Menschheit: erfolgreich soll es sein, das Altern, produktiv und aktiv mit wenig Krankheit in den letzten Monaten des Lebens.
Außerhalb der Kongresshallen merkt man nur wenig von der Beschäftigung mit dem Alter. Kalifornien ist ein Staat der Jugend, der Innovation, der Erneuerung. Die jungen Menschen kümmern sich wenig um Traditonen und um Herrn Knigge, sie haben Geld, und noch mehr Geld. Im Silicon Valley verstecken sich die Neureichen. Ob Apple, ob Intel oder Netflix, sie alle haben hier ihren Geburtsort. Die mutigen Erfinder verschwenden ihr Einkommen und kaufen sich ihr zweites oder drittes Domizil. Sie brauchen nur ein Angebot zu machen und treiben Grundeigentum in die Höhe. Eine Million, zwei Millionen, drei Millionen, wen kümmert`s? Sie sitzen in teuren Gaststätten und sprechen in ihren Sommersweatern über mondäne Angelenheiten. Sie verkörpern den Kontrast zu den Bettlern und Heimatlosen, die in San Francisco laut schreiend durch die Straßen ziehen.
William Hearst, der Medienmogul aus San Francisco, verkörpert die Staatsphilosophie: hart arbeiten und Zeit finden für die angenehmen Seiten im Leben. „You must keep your mind on the objective, not on the obstacle,” war seine Devise. Sein Schloss auf der Berghöhe vor der Pazifikküste ist für alle Besucher bestimmt. Diese Gastfreundlichkeit zeigt sich auch auf in den Bed and Breakfast Unterkünften. Begrüßung mit Wein und o‘deuvre, Spaziergänge in der Gartenanlage, ausgiebiges Frühstück – hier wird vorgelebt, wie William Hearst sich Gastfreundchaft vorgestellt hat. „Wir möchten, dass Sie sich hier wohlfühlen“, heißt es bei der Begrüßung.
Kontraste in Kalifornien – hier gibt es die schönsten Nationalparks – „Pinnacles“ ist ein relativ neuer Juwel im Club der Naturwunder Amerikas. Schattigkühle Höhlen stehen neben majestätischen Felsen, die in sonniger Hitze glühen. Wälder und Berge erheben sich neben Stränden und dem aufwühlenden Pazifik. In den Tälern, Felder über Felder, die nur durch künstliche Bewässerung ihre Früchte und Gemüsesorten hevorbringen. Wann wird sich eine Anti-Vegitationsgruppe aufmachen, alles was auf Feldern wächst zu verdammen? Sicherlich wird diese Volksbewegung hier anfangen, natürlich in Kalifornien!
Und dann die Megastadt der Engel: Los Angeles. Autos vor Menschen, der Großstadtrummel, und im Zentrum die neue Musikhalle: Frank Gehry, das Architektengenie hier in der Mitte der Stadt. Die Wände wie Segel, die sich scheinbar im Wind verbiegen, die Innenräume mit viel Licht und Holz, Psychoakustik. „Architektur soll ein Zeichen der Zeit und des Ortes sein, sie soll sich aber auch nach Zeitlosigkeit sehnen,“ hat er einst geschrieben.
Kalifornien ist längst sein eigenes Land – es braucht keine Fürsorger, Politiker, oder Fürsten, hier, in diesem innovativen Staat, wo Techno-Neureiche neben verzweifelten Bettlern leben, wo es mildes Wetter an der Küste und erdrückende Hitze im Inland gibt, und wo altvertraute Natur im Kontrast zur schwindelerregenden Erneuerung steht.