Die Präriepost

Die Präriepost

06-26-11

Es ist kühl hier, in der kleinen Präriestadt, der Sommer ist widerstrebt, sein eigentliches Wesen in Erscheinung treten zu lassen. Graue Wolkenfelder ziehen übers Land und immer wieder gibt es Regenschauer, die sich im munterem Wechsel mit laut polternden Gewittern unaufhörlich bemerkbar machen und sich dann in Missmut auf die Gemüter der Menschen auswirken. Denn im Grunde steht die Gemütslage der hier streng lutheranisch erzogenen Bevölkerung dem Griesgram wesentlich näher als der mit Sonnenstrahlen verbundenen Frohmut.

So fehlt es den Menschen hier auch nicht an freizügigem Sarkasmus.  „Hast wieder verpasst, den Mais vor den Regenstürmen anzupflanzen, wie?“ „Warum so früh? Weißt nicht, dass die ersten immer die letzten sein werden, du Besserwisser? Steht schon im Guten Buch geschrieben“. Die Stimmung ist auf dem Tiefpunkt, wenn die Sonne sich einmal längere Zeit nicht sehen lässt, und es sind natürlich immer die anderen, die dafür verantwortlich sind.

Nur die Prärie selbst weiß nichts von solcher Melancholie. Im Juni, und besonders nach den vielen Regengüssen, zeigt sie sich in buntem Gewand. Ob schwarzäugige Susanne (Thunbergia alata) oder lila Scheinsonnenhut (Echinacea), ob Schmetterlingsseidenpflanze (Asclepias) oder Goldrute  (Solidago virgaurea), alles steht in voller Blüte. Auch der Rohrkolben (Typha latifolia) steht schon zinnsoldatenhaft am Wasserufer, jeder einzelne für sich, also wolle er nach dem kommenden Wetter Ausschau halten.

Die Tierwelt kümmert sich nicht um Wettervorhersagen. Gerade sind die ersten Rehkitze auf die Welt gekommen und versuchen zaghaft, auf den eigenen vier Beinen  stehenzubleiben. Unten am Dorfsee sieht man sie nah bei der Mutter am Flusslauf verweilen. Daneben zwitschern die Zaunkönige in ihrem Revier als müssten sie mit aller Lungenkraft ihr Waldstück verteidigen. Ein Blaureiher fliegt auf und segelt gemach über dem Wasser auf die andere Uferseite. Die ersten Geier ziehen ihre Kreise, die Eichhörnchen machen sich mit schrillen Tönen bermerkbar, und die ersten Grillen stimmmen den Abendgesang an. Hunderte von Glühwürmchen blitzen bei Eintritt der Dunkelheit miteinander um die Wette. Auch eine Schildkröte zeigt sich plötzlich und erregt Aufsehen im Dorf. Langsam versucht sie, die Dorfstraße zu überqueren, und es dauert nicht lange bis die Nachbarschaft aus ihren Häusern gelaufen kommt. „Auf welche Seite der Straße will sie denn nun?“ Sofort melden sich die Experten zu Wort. „Wir waren gerade mit den Kindern im Zoo – man darf die Strecke der Schildkröte nicht umkehren“. „Also dann, wie können wir sie sicher auf die andere Straßenseite bringen?“ Sie versuchen es mit Besen, mit Füßen und mit Stöcken, aber die Schildkröte bewegt sich nicht von der Straßenmitte. Schließlich kommt eine Dorfbewohnerin mit einer riesigen Schneeschippe und trägt das gestresste Tier auf die andere Straßenseite. So hat sich auch diese Angelegenheit erledigt.

Pastor Randy denkt weniger an die Natur als an seine Kirchgänger. Ihm ist aufgefallen, dass sich viele der Besucher gar nicht zu kennen scheinen, und so hat er kurzerhand beschlossen, dass alle Gemeindemitgleider ab sofort Namensschilder tragen sollen, bevor sie ins Kirchenschiff eintreten. Nur scheint er da die stoische Gesinnung der Dorfbewohner schlecht einzuschätzen. Hier möchte nämlich keiner beim Kirchenbesuch erkannt werden, und deshalb ist Pastor Randy auch der einzige, der nun ein Namensschild trägt.

Für diesen Sonntag hat er mit Stolz zwei gute, alte Bekannte in die Gemeinde gebracht: Pastor Wayne und Pastorin Christa waren in der Gegend und freuten sich auf ein Wiedersehen mit der Gemeinde. Den beiden Ehemaligen war die Präriegemeinde vor einigen Jahren zu klein geworden und über einige Umwegen sind sie nun in Hong Kong gelandet um dort den kleinen Katchismus unter die Leute zu bringen. Pastor Wayne durfte an diesem Sonntag in der Präriekirche die Predigt halten und bezog sich auf den wöchentlichen Bibeltext. Es war der letzte Paragraph im Mathäusevangelium, der es ihm angetan hatte. Die Gemeinde freute sich, denn manche zogen daraus den Schluss, dass der nächste Gottesdienst bis zum Advent warten könne.

Pastor Wayne las den entscheidenden Satz noch einmal vor: „Und da sie ihn sahen, fielen sie vor ihm nieder; etliche aber zweifelten“.  Der Zweifel, so Pastor Wayne, gehöre zum lutheranischen Denken – im Griechischen als „Hin- und Herwägen“ verstanden, könne dies in der Prärie schlechthin als Lebensauffassung aufgefasst werden.  Man wisse nicht genau, werde die Ernte gut genug werden, man wisse nicht genau, werde die nächste Generation den richtigen Weg einschlagen, man wisse nicht genau, ob man die letzte Entscheidung richtig getroffen habe. Der Zweifel, ein unabdingbares menschliches Gefühl, das dem Kirchgänger noch einmal klar machen solle, seine Lebensweise ständig zu hinterfragen. „Und wenn Ihr dann den Entschluss fasst, dass Ihr mehr für die Gemeinschaft in Eurem Dorf tun sollt, wenn Ihr den Entschluss fasst, dass Ihr mehr Nächstenliebe zeigen sollt, wenn Ihr den Entschluss fasst, dem Zweifel Taten folgen zu lassen, dann habt Ihr das Matthäusevangelium verstanden“.  Pastor Wayne hat mit der Faust einige Male kräftig auf die Kanzel geschlagen, er weiß, dass er dieser Gemeinde eigentlich nichts mehr schuldig ist.

Dem Rest seiner Predigt können die Gemeindemitglieder kaum noch folgen; nur als sie hören, dass sein Gottesdienst in Hong Kong mindestens zwei Stunden dauert, da werden sie etwas missmutig. Pastorin Christa aber deutet ihrem ehelichen Kollegen auf die Uhr und so endet Pastor Wayne, der seine Zuhörer mit Beispielen von Flüchtlingen in Burma schon längst verloren hat, mit der Bemerkung, im nächsten Jahr wieder kommen zu wollen, daran bestehe wohl kein Zweifel.

Der Sommer ist lang, hier in der Prärie, und außer dem Kirchgang gibt es nur wenig neue Höhepunkte. So fährt man ins Nachbardorf, wo jährlich schaffende Künstler eintreffen um ihre neusten Meisterwerke anzubieten. Sie kommen aus Kalifornien und New York, aus Louisiana und Illinois. Menschen in der Prärie sind aufgeschlossen, wenn es um Malerei und Fotografie, Farbdrucke und Skulpturen geht. Wer möchte nicht ein farbenprächtiges Großstadtgemälde in die Prärie bringen um es dann provokativ an die Wohnzimmerwand zu hängen? Wer möchte nicht ein postergroßes Bild von einer alten Scheune im Arbeitszimmer ausstellen? So schlendern die Farmer und Lehrer, die Kleinwarenhändler und Kellner aus den umliegenden Dörfern  den Kunstmarkt entlang und lassen sich die neuesten Werke der wandernden Künstler zeigen. Sie halten hier und da, um einer lauten Rockband zuzuhören, um die jungen Leute zu bewundern, die gemeinsam ein Haus für eine mit ihren drei Kindern aus dem Sudan zugezogenen Mutter bauen, sie sehen einer Tanzgruppe zu, wie sie nach der mit Glas produzierten Musik zuhören, und sie schauen sich die neuesten Filme des internationalen Filmfestivals an, wie Sechzig Filme in Sechzig Minuten, ein Kaleidoskop von Eindrücken, die von Mick Jagger bis zu einer sich duschenden Frau, vom Sonnenaufgang in Denver bis zur gehetzten Fahrt in den Bergen reicht.

Nach ausgiebigem Besuch kehren sie dann in ihr Dorf zurück und wissen, dass sie eigentlich mit ihrer Welt zufrieden sein sollten, hier, wo die Studenten immer etwas smarter sind als anderswo, wo es immer Wetter gibt, und wo jeder jeden Morgen vor dem Frühstück aufsteht, wie immer.

Prairie Post (this time from Hong Kong)

Prairie Post

5-10-11

(this time from Hong Kong)

It is hot in this town, very hot and very sticky.  The mountains calmly compete with skyscrapers for height and splendor. Thick clouds move steadily between these man-made and nature-made giants.  Nobody here seems to mind the oppressing weather, people are surrounded by the South Asian Sea; salt water must flow in their veins.  They don’t need rain; they have enough humidity filling the space around them.

Space is always on their mind, here is this city of seven million, space is essential.  Here, they tear down 20-story skyscrapers so that they can replace them with 40-story skyscrapers.  The only way to create real estate is to move vertically. People live in small compartments, people work in small compartments, people move in small compartments.  Space is the most precious commodity here.

Space is also important to Philippine workers who have a day off and find their gathering place on the sidewalks.  They meet with family and friends and orchestrate the largest picnic festival in the city. No matter the weather, it is time to gather for this hard-working ethnic group.

Living space consists of a double bed and a small two-foot space from bed to window.  Two people cannot move in this space at the same time, unless they also move vertically over bed and over chairs and over suitcases.  Space is the issue here in this metropolis. The sea of skyscrapers make up an amazing community of illuminated buildings, most arranged in feng shui fashion, some violating this oriental form of architecture. This ancient belief in aesthetics negotiating between heaven and earth is visible everywhere, balance between wind and water, all to improve life in positive ways.

Feng Shui did not matter to a those older people who used to live in wire cages. No other place to live, until the Helping Hand came to the rescue and built decent housing.  Now they cheer on visitors, they are eager to show off their volunteer activities.  They live four to five people to a room, they have few of their own belongings, but they happily play mahjong, four people to a table, with shuffled tiles, with strategy and a little bit of luck.

Siddhārtha Gautama did not believe in luck, he considered belief in luck to be low arts.  His image overlooks the mountains here in the backyard of the big city.  His smile comforts, projects harmony and good will. A small hike from the cable car station, following chants in the background of the monastery and stairs that seem to lead to the sky in which the master appears to dominate.

A small fishing village is situated just down the road. Metal sheds built on stilts, seemingly floating in the bay area.  All streets here point to the market, open spaces filled with the scent of fish, some dried, some alive in water, all ready to be sold. Older people work in these shacks, live in small quarters behind. Their lives are connected with other family members and the community.

Older people also run the Ginkgo restaurant, a small venue on the main island. Septuagenarians cook the meals, octogenarians serve food with a sly smile on their face; they take care of any of the costumers’ needs. They quietly protest mandatory retirement in many other jobs, show their reliable service. The older generation wants to preserve the ways of the past.

The younger generation has different ideas about their future.  They don’t plan to have children because it is too expensive – who can afford the education of children when you can’t afford to pay your own rent. Chinese women from the mainland, however, visit here to bear their children – seven days are allotted for these unforeign foreigners.  If Chinese children from the mainland see the first light in Hong Kong, they will become residents.  Other Chinese residents need to invest millions of dollars into real estate to become residents. Because so many persons from mainland China became rich so quickly, the Hong Kong government needed to raise the investment limit by several million of Hong Kong dollars.

Shopping remains an adventure in this part of the world.  How about a discount?  They are willing to lower the price, perhaps, and they smile, smile, and smile until the price offered is too low for comfort… no, no, no, 210 Hong Kong dollars is simply not enough. But what if the tourists leave, what if they don’t return, it is time to finish the deal at 220 dollars. It’s the first sale of the night, so they will allow a special discount, or so they say.

This major city on the south end of China is a city of delightful dishes. Dim Sum, the traditional, especially prepared, the vegetarian home-cooked meals eaten in the temple, the tea time at the Peninsula, the goose in Soho, the noodles, the rice, and the fish, and finally the longevity buns and the mango pudding.  This is a city of oriental taste and breathtaking smells. Pick up the sticks and come on in!

People move up the escalator, still the escalator, and still the same escalator.  It’s the only way to climb these steep hills.  They move down to the underground, a most efficient underground, they move to the ferry and off the ferry.  Transportation is vital, transportation is efficient. Hong Kong, a lively place, here, where the people keep moving, where space is cherished and where everybody spends time at the harbor to capture the magnificent skyline of this vivacious city.