Präriepost

Präriepost

31. Dezember 2017

Es ist kalt in der Prärie, bitterkalt. Das Thermometer steht bei Minus 29 Grad, und der Wind peitscht das Seinige in die frostigen Gesichter der Dorfbewohner, die schnell in den Einkaufsladen laufen um die nötigsten Besorgungen für den Silvesterabend zu erledigen. Die Wetterfrösche warnen vor der Gefahr eines Frostbites, den man schon in wenigen Minuten in der Kälte erleiden kann. Aber man zuckt nur die Achseln; dieses Wetter gerhört zur Seelenruhe der Menschen in der Prärie. „Wer mit dem Wetter hier nicht klarkommen kann“, sagen sie, „ soll doch nach Florida oder Arizona ziehen.“ „Nur wer sich der Kälte stellt, kann erfolgreich überwintern.“

Pünktlich zum Fest hat sich auch Frau Holle gemeldet und ein paar Zentimeter schnell auf den Prärieboden fallen lassen. Die Wiesen und Felder sehen jetzt wie mit weißer Farbe bemalt aus, die Bäume sind mit Schneestrichen dekoriert, und der Weihnachtsschmuck auf dem Terassengeländer glitztert unter einer angefrorenen Schneedecke. Die Natur verschönert das Land liebevoll zur Weihnachtszeit.

Im Seniorenzentrum teilen die Mitglieder des Aufsichtsrates zum Weihnachtsfest das Essen aus. Die älteren Menschen bedanken sich mit einem freundlichen Lächeln. Auch die Mitarbeiter werden reichlich bedient und bekommen ihren wohlverdienten Jahresbonus. Wer hier arbeitet, kennt sich aus mit sozialem Verständnis und unterstützt soziale Gerechtigkeit.

Das Christfest ist vorbei, und die jungen Leute, die ihre in der Prärie zurückgeblieben älteren Menschen besucht haben, sind wieder in ihre Großstädte zurückgekehrt. Die Kindergesichter haben nicht mehr dieselbe leuchtende Ausstrahlung, mit der sie am Weihnachtsmorgen zum Tannenbaum gelaufen sind, und die ältere Generation bereitet wieder gewöhnliche Tagesgerichte statt der ausgiebigen Weihnachtsmenüs vor. Nun bleibt die Erinnerung an den Weihnachtsmann, der wie aus dem Nichts in die Stuben stürmte um dann schnellstens wieder ins weite Feld zu ziehen.

Der neue Pastor aus Florida muss sich erst an die Kälte im Norden des Landes gewöhnen. Kurz vor Weihnachten sah man ihn in der Dorfschänke, wo er mit Laptop unter dem Arm eine kreative Ecke aussuchte, um seine Weihnachtsbotschaft zu schreibem. Nur so richtig einfallsreich war ihm wohl nicht zumute, denn zwischen Husten und Niesen brachte er nur den einen oder anderen Satz aufs imaginäre Papier. Pünktlich zurm Weihnachtsgottesdienst war seine erste Rede an die Gemeinde dann doch fertig. Langsam und bedächtig und nicht gerade ermahnend hob er seine Stimme und forderte seine Zuhörer auf, ihre normale Routine zu unterbrechen. „Wir sind Protestanten“, sinnierte er, „wir sind dafür bekannt, nicht all das anzunehmen, was als selbstverständlich gilt“. Und nach einer rhetorischen Pause schloss er seine Predigt mit den Worten, dass wir einmal aus der Reihe treten sollten, dass wir in diesen wirren Zeiten einmal alles neu überdenken müssten.

Die Gemeinde hört sich diesen Rat geduldig an, ist aber wenig überzeugt. Hier, in der Prärie, lebt man in steter Berechenbarkeit, die Routine wird zur Lebensweise, die man nur ungern bricht. So wie der bitterkalte Winter und der brütendheiße Sommer vorhersagbar sind, so sind auch die Gewohnheiten der Menschen in der Dorfgemeinschaft vorhersagbar. Nun ja, wer aus Florida kommt, muss sich erst umsehen in dieser Gegend, um zu verstehen.

Die Studenten haben den Campus verlassen, sie sind zurück in ihre Heimatstadt und lassen es sich vor dem Computer mit populären Online-Programmen gemütlich ergehen. Hin und wieder schreiben sie ihren Professoren, um über die letzte Klausur- oder Semesternote zu klagen. Warum eigentlich haben sie nur 91 und nicht 92 von 100 Punkten bekommen? Das Leben ist kompliziert in der Prärie.

Unsere Footballmannschaft hat sich mit Ehren geschlagen. In der Großstadt durften sie sich mit ihresgleichen messen. Da es diesmal auch im Süden des Landes ungewöhnlich kühl ist, hatten unsere Nachkömmlinge der Vikingerzunft leichtes Spiel mit dem warmblütigen Gegner. Zum ersten Mal musste der Quarterback des gegnerischen Teams mit Handschuhen spielen um den Ball griffig werfen zu können. Nicht so unser Held aus der Studentengemeinschaft – Kälte in der Prärie fördert die Konzentration, und so gab es den unerwarteten Sieg über die südliche Großstadtzunft.

Schon bald fängt das neue Semester an und die tägliche Routine wird zurückkehren. In der Kälte bleibt den Studenten nichts anderes übrig als sich in ihren Kammern zu verkriechen und die Hausaufgaben zu machen. Die Bewohner werden die Weihnachtslichter entfernen und Pastor Randy wird in der Dorfschänke seine nächste Predigt schreiben, hier, in der Prärie, wo die Kälte zur Lebenslage wird, wo die Studenten über ihre Zensuren klagen und wo Routine zum Erfolgserlebnis wird.

Präriepost

Präriepost

4. September 2017

Es ist schon recht kühl in der Prärie, auch wenn heute noch der letzte Sommertag gefeiert wird. Die dicken Wolken hängen ungewöhnlich tief, so als wollten sie die letzten Lichtstrahlen des Tages mit aller Wucht erdrücken. Ein leichter Wind weht, von Herbstürmen aber ist noch nichts zu merken. Den Menschen hier auf dem Lande wird es ein wenig wehmütig. Einmal noch in diesem Jahr wollen sie die drückende Hitze ertragen, noch einmal des Wetters Herausforderung annehmen, nassgeschwitzt den Rasen mähen – aber daraus wird in diesem Jahr wohl nichts mehr. „Müssen uns wohl auf den Schnee vorbereiten“, sagen sie dann, „lang wird es nicht mehr dauern.“

Man ist freundlich, im Spätsommer. Keine Klagen über die Hitze oder Kälte, die andauernde Trockenheit bringt den Vorteil, dass man weniger mähen muss. Die ungewöhnliche Freundlichkeit in der Prärie merkt man besonders an den Straßenkreuzungen. Niemand möchte als erster losfahren, „bitteschön, nach Ihnen“. Spätestens im Herbst wird sich das ändern.

Aber die Tiere der Prärie werden ungeduldig. Ein Schwarm schwarzer Krähen steht im morgentlichen Streit mit dem Virginiauhu, der sich mit seinem Gefieder und mit dem unverkennbaren Uhu-uhu-hu-hu laut in diesem Gebiet breitmacht. Mit seinen gelben Augen starrt er eingehend jeden Fremdling an, bis es einem vor Anmut und Argwohn ein wenig unheimlich wird. Den ganzen Tag und die ganze Nacht wird sich der Uhu bemerkbar machen.

Auch der Fuchs strolcht durch die Gegend, es wird Zeit, sich genügend Nahrung für den langen Winter zu schaffen. Hasen und Eichhörnchen sind dagegen eher vorsichtig. Allzu ängstlich dürfen sie aber auch nicht sein, da auch sie den Winter nur überleben, wenn sie genügend Nahrung finden. Nur die Kolibris finden genügend Blütennektar und starren gelegentlich durchs Fenster, also wollten sie mehr Zuckerwasser fordern. Die Natur ist im Gleichgewicht, hier, in der Prärie.

Und auch die Menschen kennen ihre spätsommerlichen Rituale. Das Sommerfest in der Nachbarschaft hat auch wieder sein Ende genommen – Kotelett. Schokolade, und Käse am Stock, viel Countrymusik; selbst die ehemalige Governeursfrau kann nicht mehr nüchtern über den Festplatz laufen, während die Jugend ihre Pferde, die fette Schweinezucht und ihre stolzen Hühner vorzeigt.

Auch die Gartenarbeit bringt endlich seinen Ertrag. Tomaten, Tomaten und noch einmal Tomaten. „Nicht schlecht“, bemerken sie, „kein schlechtes Tomatenjahr“. Nach der ersten Ernte werden große Schalen voller knallroter Tomaten in das Sekretariat gebracht – man bediene sich selber.

Das erste Footballspiel der Heimmannschaft ist gut gelaufen. Die Hoffnung in der jungen Saison auf eine siegreiche Serie ist bei den Optmisten noch nicht verloren gegangen. „Nur nicht gegen die Hawkeyes verlieren“, „da müssen wir schon gegenhalten.“ Die Studenten sind mittlerweile auch  wieder im Ort, sie gewöhnen sich langsam an die sonderbaren Seiten ihrer Professoren. Schon bald werden sie müde in der Vorlesung erscheinen, für sie gibt es offensichtlich auch noch andere Seiten des Lebens.

Manche Studenten laufen mit ihren Smartphones durch die Gegend, um den nächsten Pokémon zu finden und mit Pokébällen zu treffen. So kommen sie in Bewegungung, laufen zum See hinunter und treffen Sangbo, den Pokémon-Meister. „Zeig uns einmal, wie du es zur nächsten Stufe schaffst“, rufen sie dann, denn Sangbo is besser als alle anderen. Er freut sich, schnell mit anderen in Kontakt zu treten, er zeigt gerne, was er selbst erst vor kurzem gelernt hat.

Es ist die Zeit der letzten Picknicks und der Parties des Jahres, man begrüßt die Neuen in der Prärie und ist beruhigt, die Alteingesessenen wiederzusehen. „Sie waren im Urlaub?“ fragen sie dann, und hören, wie wunderbar die Schiffsreise den Rhein hinunter oder am Rande von Alaska gewesen sei. Andere wieder berichten von ihrer abgeschiedenen Zeit im Sommerhaus irgendwo im Norden – schön war es, auch wenn es dieses Jahr ein wenig kühl gewesen sei.

Es gibt keine wirklichen Klagen hier, in der Prärie, man ist zufrieden mit dem Leben, denn jahreszeitliche Herausforderungen sind absehbar – große Konflikte oder schlimme Naturereignisse gibt es nur selten, und wenn einmal wieder ein Tornado durch die Gegend wirbelt, dann formt dies eben den Charakter, hier, wo die Eulen ihr Terrain verteidigen, wo die Studenten sich langsam ans Lesen und Schreiben gewöhnen müssen und wo jeder Tag mehr Zufriedenheit als Zwist erbringt.