Präriepost
4. September 2017
Es ist schon recht kühl in der Prärie, auch wenn heute noch der letzte Sommertag gefeiert wird. Die dicken Wolken hängen ungewöhnlich tief, so als wollten sie die letzten Lichtstrahlen des Tages mit aller Wucht erdrücken. Ein leichter Wind weht, von Herbstürmen aber ist noch nichts zu merken. Den Menschen hier auf dem Lande wird es ein wenig wehmütig. Einmal noch in diesem Jahr wollen sie die drückende Hitze ertragen, noch einmal des Wetters Herausforderung annehmen, nassgeschwitzt den Rasen mähen – aber daraus wird in diesem Jahr wohl nichts mehr. „Müssen uns wohl auf den Schnee vorbereiten“, sagen sie dann, „lang wird es nicht mehr dauern.“
Man ist freundlich, im Spätsommer. Keine Klagen über die Hitze oder Kälte, die andauernde Trockenheit bringt den Vorteil, dass man weniger mähen muss. Die ungewöhnliche Freundlichkeit in der Prärie merkt man besonders an den Straßenkreuzungen. Niemand möchte als erster losfahren, „bitteschön, nach Ihnen“. Spätestens im Herbst wird sich das ändern.
Aber die Tiere der Prärie werden ungeduldig. Ein Schwarm schwarzer Krähen steht im morgentlichen Streit mit dem Virginiauhu, der sich mit seinem Gefieder und mit dem unverkennbaren Uhu-uhu-hu-hu laut in diesem Gebiet breitmacht. Mit seinen gelben Augen starrt er eingehend jeden Fremdling an, bis es einem vor Anmut und Argwohn ein wenig unheimlich wird. Den ganzen Tag und die ganze Nacht wird sich der Uhu bemerkbar machen.
Auch der Fuchs strolcht durch die Gegend, es wird Zeit, sich genügend Nahrung für den langen Winter zu schaffen. Hasen und Eichhörnchen sind dagegen eher vorsichtig. Allzu ängstlich dürfen sie aber auch nicht sein, da auch sie den Winter nur überleben, wenn sie genügend Nahrung finden. Nur die Kolibris finden genügend Blütennektar und starren gelegentlich durchs Fenster, also wollten sie mehr Zuckerwasser fordern. Die Natur ist im Gleichgewicht, hier, in der Prärie.
Und auch die Menschen kennen ihre spätsommerlichen Rituale. Das Sommerfest in der Nachbarschaft hat auch wieder sein Ende genommen – Kotelett. Schokolade, und Käse am Stock, viel Countrymusik; selbst die ehemalige Governeursfrau kann nicht mehr nüchtern über den Festplatz laufen, während die Jugend ihre Pferde, die fette Schweinezucht und ihre stolzen Hühner vorzeigt.
Auch die Gartenarbeit bringt endlich seinen Ertrag. Tomaten, Tomaten und noch einmal Tomaten. „Nicht schlecht“, bemerken sie, „kein schlechtes Tomatenjahr“. Nach der ersten Ernte werden große Schalen voller knallroter Tomaten in das Sekretariat gebracht – man bediene sich selber.
Das erste Footballspiel der Heimmannschaft ist gut gelaufen. Die Hoffnung in der jungen Saison auf eine siegreiche Serie ist bei den Optmisten noch nicht verloren gegangen. „Nur nicht gegen die Hawkeyes verlieren“, „da müssen wir schon gegenhalten.“ Die Studenten sind mittlerweile auch wieder im Ort, sie gewöhnen sich langsam an die sonderbaren Seiten ihrer Professoren. Schon bald werden sie müde in der Vorlesung erscheinen, für sie gibt es offensichtlich auch noch andere Seiten des Lebens.
Manche Studenten laufen mit ihren Smartphones durch die Gegend, um den nächsten Pokémon zu finden und mit Pokébällen zu treffen. So kommen sie in Bewegungung, laufen zum See hinunter und treffen Sangbo, den Pokémon-Meister. „Zeig uns einmal, wie du es zur nächsten Stufe schaffst“, rufen sie dann, denn Sangbo is besser als alle anderen. Er freut sich, schnell mit anderen in Kontakt zu treten, er zeigt gerne, was er selbst erst vor kurzem gelernt hat.
Es ist die Zeit der letzten Picknicks und der Parties des Jahres, man begrüßt die Neuen in der Prärie und ist beruhigt, die Alteingesessenen wiederzusehen. „Sie waren im Urlaub?“ fragen sie dann, und hören, wie wunderbar die Schiffsreise den Rhein hinunter oder am Rande von Alaska gewesen sei. Andere wieder berichten von ihrer abgeschiedenen Zeit im Sommerhaus irgendwo im Norden – schön war es, auch wenn es dieses Jahr ein wenig kühl gewesen sei.
Es gibt keine wirklichen Klagen hier, in der Prärie, man ist zufrieden mit dem Leben, denn jahreszeitliche Herausforderungen sind absehbar – große Konflikte oder schlimme Naturereignisse gibt es nur selten, und wenn einmal wieder ein Tornado durch die Gegend wirbelt, dann formt dies eben den Charakter, hier, wo die Eulen ihr Terrain verteidigen, wo die Studenten sich langsam ans Lesen und Schreiben gewöhnen müssen und wo jeder Tag mehr Zufriedenheit als Zwist erbringt.