25. Mai, 2020
Nun ist er da, der lange Sommer. Die Temperaturen steigen auf 27 Grad, und heftige Gewitter ziehen durchs Land. Regenwasser überflutet die Felder, und der Wassergott Neptun droht so manchem Keller mit seinem Dreizack. Der erste Tornado ging in der Nachbarschaft nieder, riss die Dorfampel aus dem Fundament und schleuderte sie ungestüm durch die Gegend. Zwischendurch wechselt sich Regen mit Sonnenschein ab, und die Bauern zucken nur mit den Schultern, „was soll´s?“ fragen sie, „wir haben´s schon schlimmer gehabt.“
Die Vögel zwitschern ungeachtet weiter, am Nachmittag wird es auch ihnen zu warm. Der erste Kolibri flattert geschwind durch die Gegend, und der Goldzeisig fliegt munter auf ein gelbes Vogelhäuschen zu. Die ersten Hausschwalben segeln durch die Lüfte, denn es gibt mittlerweile genügend Insekten. Zwei Gänsefamilien wackeln munter durch die Gegend; wenn einzelne Menschen über den Weg laufen, zischen sie einige Male drohend laut auf.
Familie Reineke strolcht munter durch die Gegend. Sechs Welpen kommen jeden Abend aus dem Fuchsbau um miteinander zu raufen. Seit dem Wurf der jungen Füchse lässt die Hasenbevölkerung stetig nach; sie hätten besser in der Häschenschule aufpassen sollten.
Zufrieden können die Dorfbewohner nicht wirklich werden, hier in der Prärie. „Das Virus hat uns fest im Griff“, sagen sie zaghaft, manche durch ihren selbstgebastelten Mundschutz. Andere halten nicht viel von den Beschränkungen, an die sie sich halten sollten.“Sie nehmen mir meine Freiheit,“ meinen sie, „niemand wird mich daran hindern, hier durch die Gegend zu tingeln.“ Aber dann sind sie doch vorsichtig, gehen anderen Menschen auf der Dorfstraße aus dem Weg und winken sich nur von Weitem zu. „Hello in there – bleib nur gesund“, rufen sie, denn sie wissen: wenn der Nachbar betroffen ist, sind sie als Nächstes dran.
Die Familientreffen finden nur noch über Zoom statt; man spricht, man lacht, man spielt gemeinsame Computerspiele, liest den Enkeln Geschichten vor und tauscht Bilder und kurze Videos aus. Enige Dorfbewohner haben versucht, in der Präriestube einzukehren, doch sie fanden lediglich ein Aushängeschild: „Nur für Abholder, von 18:00 bis 20:00 Uhr nach Vorbestellung“. Die verärgerten Besucher beklagen sich dann, denn sie können sich nicht vorstellen, ihr Essen jeden Abend selber kochen zu müssen.
Allerdings dürfen die ersten Nachbarschaftstreffen wieder stattfinden. Wie sonst nur selten hört man aus den Gärten die ersten Partystimmen, sie versammeln sich schön im sicheren Abstand von sechs Fuß. Endlich sich wieder bemerkbar machen, endlich wieder Herrscher über die Natur werden! Zur Abenddämmerung gehen sie dann auf ihre Terassen und schließen sich allen Nachbarn an zum großen Wolfesheulen.
Die Universität hat ihr Sommersemester abgeschlossen – mehr als 6.000 Vorlesungen und Seminare wurden nur online angeboten. Auf dem Campus aber hört man auch weiter den Glockenturm. Die Rektorin gibt sich weiter voller Optimismus – da werden wir durchkommen, auch wenn wir schon jetzt ein großes Defizit aufweisen – wir wissen mit Krisen umzugehen. Die Abteilungen sollen sich schon einmal auf Reduzierungen um zehn Prozent einstellen. Die Studenten bekommen vom Staat einen Zuschuss, doch die einen oder anderen schicken den Scheck umgehend an die Universität zurück. „Habe Sommerarbeit gefunden, andere brauchen den Zuschuss mehr als ich“, schreiben sie dazu.
Der Sport fehlt der Landbevölkerung wohl am meisten. Wie soll man das Wochenende ohne Baseball verbingen? Wann können die Footballspieler endlich nach draußen? Wann gibt es wieder Sportseiten zu lesen? Da bleibt einem nur der Tigerkönig, denn der Zooeigner beherrscht das Netflix. Wem dies zu aufreibend ist, der verbingt die Zeit mit den neusten TikTok Videos, denn sonst bleiben den Dorfbewohner nicht viele Möglichkeiten der Unterhaltung, hier, wo es Sommer ohne Saison ist, wo die Studenten in der Ferne bleiben, und wo TikTok zur täglichen Ablenkung wird.