March 18, 2020
Es wird wärmer, hier, in der Prärie, möglicherweise können wir den Winter in die Vergangenheit zurückdrängen. Sicher, es gibt auch weiterhin ein Auf und ein Ab der Witterungslage, sonst wären wir nicht in der Prärie. Die dicken Wolken ziehen sich schleppend über den Horizont, sie sagen eine anstehende Regenzeit voraus. „Nicht schon wieder Überschwemmungen“, bekunden sie hier, „die Schneeschmelze aus dem Norden bringt uns genug Probleme“. Sie wollen aufs Feld, hier, es juckt in den Fingern, die aufregendste Zeit beginnt in der Prärie, die Felder wollen bestellt werden.
Die Vögel kehren aus dem tiefen Süden zurück, sie suchen ihre alten Futterstellen auf, klopfen wie immer im Frühling an morschen Bäumen und landen wie kleine Segelflugzeuge auf dem großen See. Die Füchse strolchen tagsüber durch die Gegend, sie haben im Gesträuch einen neuen Fuchsbau gefunden und tragen dort täglich ihre Beute hinein. Rehe wittern mögliche Schützenjäger und springen mit viel Ehrgeiz durch die Gegend. Die Natur lebt auf.
Nur die Menschen hier auf dem Dorf trauen sich nicht richtig aus dem Haus. Wie fast überall droht Corona in den Schulen, an der Universität, in den Geschäften und in den Sporthallen. Die Angst geht um bei manchen, die Widerrede bei anderen. “Wird schon nicht so schlimm sein“, sagen die einen, „besser noch einmal die Hände waschen“, sagen die anderen. Die Universität verlegt allen Unterricht ins Netz, egal ob Physik oder Psychologie. Restaurants, Seniorenzentren, Kinos, alles ist geschlossen. Nur die Farmer schütteln den Kopf. „Bei uns ändert sich nichts“, sagen sie, „wir leben auf dem Land, fernab jeder ansteckenden Zivilisation.“ Mit Stolz raunen sie, „wir sind die letzten, die hier überleben werden“.
Doris, die erst seit kurzem die Präriestube leitet, schlägt die Hände über dem Kopf zusammen. „Wie soll ich nur weitermachen“, beklagt sie sich, denn ab heute dürfen nur noch Essensabholer von ihr bedient werden. Der irische Wirt konnte am Sankt Patrickstag kein grünes Bier ausschenken, und vor dem großen Parkplatz zum Bratrost steht nicht ein einziges Auto. Essen auf Rädern wird nur noch vor der Tür abgestellt, dann warten die Fahrer im Auto bis sich jemand meldet. Die Supermärkte haben mittlerweile geänderte Öffnungszeiten, um ihre Erwerbstätigkeit in die Desinfektion zu verlagern. In der ersten Morgenstunde dürfen nur ältere Menschen den Dorfladen betreten.
Manche vertreiben sich die Zeit mit einem oder mehreren Puzzlen, andere hält es nicht mehr in der Wohnung, sie bearbeiten die Präriegräser in ihren Gärten und schneiden die Wassertriebe ihrer Obstbäume. Nur aus der Ferne rufen sie ihren Nachbarn „alles Gute“ zu, „bleiben Sie nur gesund,“ und „immer nur positiv denken.“ Entfernte Verwandte treffen sich über Zoom, Skype und Facetime. „Intimacy at a distance“, sagen die Familienforscher, „semper in absentes felicior aestus amantes“ [absence makes the heart grow fonder], schrieb einst schon der römische Dichter Sextus Propertius.
Den größten Verdruss aber verbreiten die ausgefallenen Sportveranstaltungen. Es ist „March Madness“ hier, das jährliche Basketeballturnier der Universitäten. Was sollen wir ohne Sportbegeisterung nur anfangen? Niemand wird täglich in der Präriestube einkehren um dem ersten bis zum letzten Korbball nachzufiebern. Allerdings gibt es einen Trost. UnserePräriejungen konnten sich diesmal nicht für das Turnier qualifizieren. Es gibt also keinen Verlust, und die Studenten können sich weiter hinter ihren Computern verstecken, um die von den Professoren ins Netz gestellten Aufgaben zu bearbeiten, hier, wo man auf wenig Regen hofft, wo Corona an fast allen Fenstern klopft und wo die sportfreie Zeit die eine oder andere Gemütskrankheit auslösen wird.