Präriepost
January 31, 2016
Es ist ungewöhnlich warm, die Temperaturen sind über dem Nullpunkt gelandet. Der Schnee bedeckt aber immer noch die Felder und Dächer der Häuser und Ställe. Die Sonne glitzert intensiv auf einer großen, weißen Decke. Es ist noch Winter in der Prärie.
Das Eis ist aber nicht dick genug, um mit dem Kleinlaster über den See zu fahren. Vierzehn Zoll dick müsste das Eis schon sein, davon aber ist man weit entfernt. Die Präriebewohner erinnern sich dann an frühere Zeiten, als man schon im November zum Eisfischen hinausfahren konnte. „Ist wohl doch dieser verdammte Klimawandel“, sagen sie schweren Herzens, denn hier in der Prärie merkt man sonst außergewöhnliches Wetter nicht – das Wetter schlägt immer Kapriolen. Man schimpft auf die Metereologen, man bleibt pessimistisch, „da kommt sicher noch mehr – wir sind noch lange nicht durch…“ In der Prärie wartet man im Winter immer auf den nächsten Schneesturm, denn nur so kann man seine vermeintlich abgehärtete Natur zur Schau tragen. In der Zwischenzeit kann man ja schon einmal die nötigsten Reparaturen am Schneewerfer vornehmen. Schon in den nächsten Tagen wird man seine hartgesottene Natur im Schneegestöber wieder beweisen können. Nur zu, Väterchen Frost, hier kennt man keine Angst.
Das Weihnachtsfest ist lange vorbei, die Durchreisenden sind wieder zurück in ihre Städte gezogen. Gerne kommen sie in die ländliche Gegend, denn hier kann man noch ungestört durch den Schnee stapfen, die Kinder holen die Schlitten vom Heuboden um gleich hinter dem Haus den Hügel hinabzufahren. Sie kommen gerne ins Dorf um dort Rehe, Füchse und Graugänse zu sehen, es ist ruhig in der Natur. Die Rehe und Eichhörnchen lagern geduldig zwischen den Bäumen, es wird schwieriger für sie, mehr als nur Schonkost zu finden. Der Fuchs strolcht auch über Tag durch die Gegend und wühlt heftig im Schnee, bis er endlich eine dicke Maus gefunden hat. All das ist Schauspeil für die Menschen in der Prärie, die bei einer Tasse Kaffee genüsslich aus dem Fenster schauen.
Gleich im neuen Jahr gesellten sich die Anwärter auf das höchste Amt im Lande zu uns in die Prärie. Denn wir sind die ersten, die ihre Stimme abgeben werden. Hier können sie nicht ihre Drohgebärden loswerden, hier wird nicht gestrotzt oder geschauspielt. In der Prärie werden die Fragen des täglichen Lebens direkt vor Ort diskutiert. So kommen sie auch in die Präriestube, um sich hier den Wählern zu stellen, mit ihnen etwas Gebrautes einzunehmen um dann gleich ins nächste Präriedorf zu ziehen. „Ist meiner Frage ausgewichen“, sagen sie dann, „erzählt mir nichts Neues“, bemerken die anderen. Hier nimmt keiner ein Blatt vor den Mund, denn Politik ist nicht Weisheit sondern Pragmatik. So wollen hören vom Klimawandel, vom Bioethanol, vom Bundeshaushalt, von Kriminalität und neuen Ideen, die Studiengebühren zu senken. Die einen wollen eine politische Revolution, die anderen wollen ihre Waffen behalten und die dritten wollen nur Frieden auf der Welt, einfach nur Frieden. Dann greift einer der Kandidaten zur Gitarre und singt fröhlich den Iowa Walzer: „Iowa – Iowa, Winter, Spring, Summer, and Fall, come and see, come dance with me, to the beautiful Iowa waltz…“ nur, die Zuhörer singen den Refrain nicht mit, denn sie sind Lutheraner, denen die Singkraft nicht in die Stimmbänder geschrieben ist. Alles in Ordnung, hier in der Prärie ist alles in Ordnung.
Nach all dem Rummel werden sie dann pflichtbewusst in die Parteiversammlung ziehen, um über den nächsten Präsidenten zu bestimmen. Hier auf dem Lande gibt es keine Geheimnisse, deshalb versammeln sich die Demokraten in den Ecken der Schulturnhalle – hier die einen, dort die nächsten, und dann die dritten Gruppen. Danach wird heftig diskutiert und man versucht die Anhänger der anderen Kandidaten davon zu überzeugen, dass sie sich ihrem Kandidaten anschließen sollen. All dies ähnelt noch immer einem Town Hall Meeting, so wie es schon immer hier gewesen ist. Man nimmt die Verwantwortung der Präsidentenwahl sehr ernst hier, in der Prärie.
Neben den politischen Veranstaltungen kommen die Dorfbewohner sonst nur aus ihren Verstecken, wenn die Basketballspieler des Dorfes einen formidablen Gegner zu Gast haben. Gegen die wilden Schreie der Studenten, die auf den Rängen der Sporthalle nicht im Zaum zu halten sind, kann auch die eintrainierteste Mannschaft nichts ausrichten. „Magisch ist das“, sagen sie dann, „einfach alles magisch!“ Am Ende des Spiels stürmen sie wieder einmal auf das Parkett, um ihren angestauten Winterfrust loszuwerden. Auch wenn der Lokalreporter dann umgestoßen wird und sich ungelenk die Knochen bricht, die winterliche Basketballfreude lässt sich hier niemand nehmen. Denn in der Prärie kennt Euphorie keine Rücksicht.
Die Seniorenorganisation hat ihren jährlichen Tanzball veranstaltet. Sieben Lokalmatadoren, die so viel über Tanzschritte wissen wie über das alpine Skifahren, haben sich bereitgestellt, ein paar Polkaschritte zu lernen um die meisten Stimmen der Zuschauer auf sich zu ziehen. Der Bankdirektor mit seinem Fliegerfoxtrott stellte den Rest der Konkurrenz in den Schatten. Aber hier in der Prärie geht es nicht um kulturelle Rumbadarstellungen, es geht darum, Unterstützung für die Seniorenprogramme zu gewinnen. Jeder Dollar für einen guten Zweck! Dafür kommen die Bewohner gerne zusammen, um einen Dorftanzball abzuhalten.
Während die Studenten ihre Freudenstänze zeigen und die die Senioren ihr Fest abhalten, ziehen sich die Intellektuellen in ihre Häuser zurück um dort ihren langen Winterschlaf abzuhalten. Da werden Kaminfeuer angezündet, Bücher oder Zeitschriftenartikel geschrieben, alte Filme geschaut oder Romane gelesen, denn schon bald werden wärmere Tage ihre Aufmerksamkeit auf sich ziehen, hier, in der Prärie, wo das Eis seine Januardicke immer noch nicht erreicht hat, wo Präsidentschaftskandidaten um die Gunst der Dorfbewohner buhlen und wo die Studenten ihre Heimmannschaft lauthals unterstützen.